Fotokunst in Karlsruhe : Die Kamera und der sture Zufall
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Aufnahme aus der Serie „Kaunas upon the Rivers“, Reservoir, 2017 Bild: Andreas Müller-Pohle
Das Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe hat den Vorlass des Fotokünstlers und Publizisten Andreas Müller-Pohle erworben. Jetzt gilt es, einen Bilderschatz zu heben.
Jetzt ist es leer im Atelier von Andreas Müller-Pohle. Leer zumindest für den, der sein Studio in einem Lagerkomplex am Rande von Berlin schon kannte, als sich dort noch Transportkisten im Dutzend stapelten und die Regale gefüllt waren mit sorgfältig beschrifteten Pappkartons. Ein guter Teil eines Lebenswerks war darin sortiert: Zeitschriften, Bücher, Korrespondenzen und Hunderte gerahmter Fotografien, mit denen sich ganze Ausstellungen bestücken und kuratieren ließen – was sich eben so ansammelt im Laufe von Jahren und Jahrzehnten. Allemal ein Lieferwagen voll, vielleicht auch zwei, je nach Größe des Wagens.
Werkzeug oder Spielzeug?
Die Frage, wohin mit all den Bildern, beschäftigt momentan eine ganze Generation von Fotografen, die den Beruf nicht mehr als Handwerk erlernt, sondern an Hochschulen studiert hat und das Medium weniger als ein Mittel zur Information begreift denn als Werkzeug, vielleicht auch Spielzeug für künstlerische Auseinandersetzungen. Und so liegt in deren Archiven eben nicht nur das, was die ehemalige Kulturstaatsministerin Monika Grütters vor zwei, drei Jahren als „das bildhafte Gedächtnis unserer Gesellschaft“ bezeichnet hat und wofür sie mit viel Engagement und großen finanziellen Versprechungen ein Deutsches Fotoinstitut auf den Weg bringen wollte, das, vergleichbar mit dem Literaturarchiv in Marbach, die großen deutschen Fotoschätze sichern sollte – ein Plan, dem schnell weit ausgreifende Begehrlichkeiten folgten, der sich momentan in allerhand Debatten und juristischen Auseinandersetzungen verheddert hat und der womöglich eine erstaunliche Wendung nehmen wird, jetzt, da der Vorschlag auf dem Tisch liegt, das Institut in einer der vielen, demnächst geräumten Karstadt-Filialen unterzubringen.
Aber noch sind ja nicht einmal diese Fotoschätze gehoben. Und als in einer Machbarkeitsstudie für das Haus davon die Rede war, Platz für zwanzig Nachlässe schaffen zu wollen, durfte man sich wundern, kein großes Rumoren in der Fotografieszene zu vernehmen. Denn augenblicklich musste jedem klar sein, dass die Auswahl unter solchen Umständen nicht ohne das eine oder andere Scharmützel getroffen werden wird, ob vor oder hinter den Kulissen.
Wohl dem, der derlei Grabenkämpfe gelassen aus der Ferne beobachten kann. So wie Isolde Ohlbaum, die Porträtistin der Literaturszene, deren Vorlass gerade in vier Tranchen an die Bayerische Staatsbibliothek geht. So wie der Produkt- und Werbefotograf Hans Hansen, der für sein Gesamtwerk im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg eine Heimat gefunden hat. Oder eben Andreas Müller-Pohle, dessen Archiv jetzt zu großen Teilen im Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe gelandet ist – einer Institution, der die Fotografie viel weniger am Herzen liegt als die elektronischen Medien, aber die gerade deshalb mit dem Werk Müller-Pohles die Position des Hauses noch einmal verstärken kann. Denn kaum je hat sich Müller-Pohle in seinen Arbeiten auch nur in geringem Maße mit einer klassischen Ausrichtung der Fotografie befasst, sondern stets versucht, sie zu sprengen. Zugleich hat er als Chef seines eigenen Verlags und Herausgeber der Zeitschrift „European Photography“ der künstlerischen Avantgarde seit mehr als vierzig Jahren gleich mehrere Foren geboten und mit den Schriften von Vilém Flusser zudem einen intellektuellen Überbau geliefert. Was sich in seinem Archiv befand, war deshalb nicht weniger als ein Gesamtpaket der Auseinandersetzungen mit den Möglichkeiten des technischen Bildmediums – bis hin zur Grundlage für eine Philosophie der Fotografie. So musste sich Müller-Pohle dem Haus auch gar nicht andienen. Es war vielmehr die Idee dessen Direktors Peter Weibel, das Material in Karlsruhe unterzubringen. Die erste Lieferung hat Weibel vor seinem Tod am 1. März dieses Jahres noch erleben können.
Einsortiert freilich ist davon bisher nichts in die gewaltigen Rollregale des Archivs, in denen das Material geschätzt zehn Meter Raum einnehmen wird. Sondern es stehen die Schachteln und Kisten zunächst in dem Raum, den der Archivar des Hauses, Felix Mittelberger, „die Vorhölle“ nennt. Das meiste ist noch eingepackt. Nur der Commodore Computer im grauen Plastikgewand, mit dem auf der Frankfurter Buchmesse grün auf schwarz Flussers Aufsatz „Hat Schreiben Zukunft?“ samt einem buchstabenfressenden Wurm vorstellte, ragt hervor wie eine Skulptur: Denkmal einer lange vergangenen Zeitenwende, hier aber eben auch funktionierende Maschine, die noch immer in der Lage ist, eine Floppy Disc zu lesen. Und augenblicklich begreift man, weshalb es nicht damit getan ist, Texte und Bilder ins elektronische Netz zu übertragen oder, wie Müller-Pohle es nennt, in eine „digitalisierte Urne“. Auch in den modernen technischen Medien spielt das Moment der Haptik eine nicht zu vernachlässigende Rolle.